Linda Woischwill
Ich bin ohne große Erwartungen an die neue Graphic Novel von Florian Winter gegangen. Laut Klappentext erzählt XES „die Geschichte von Florian, der ständig auf der Suche nach sexueller Befriedigung ist. Ob einsamer, stundenlanger Pornokonsum oder Bordellbesuch – es ist nie genug.“ Er versucht in einer Selbsthilfegruppe, seine Sucht zu überwinden. XES ist eine Mischung aus Erfahrungsbericht und Ratgeber und die erste Graphic Novel, die sich mit diesem Tabuthema befasst.
Florian, den alle nur Flo nennen, erzählt in den Sitzungen der Gruppe über seine Sucht und geht auch auf seine Vergangenheit ein. Die Familienverhältnisse werden nur kurz angeschnitten – Mutter arbeitet viel, Oma arbeitet viel, Opa ist tot und Vater „ist ein Arschloch“. Einen deutlicheren Einblick bekommen wir nicht. Das braucht die Geschichte aber auch gar nicht. Auch ein ominöser Arztbesuch im Kindesalter wird nicht genau aufgeschlüsselt. Man wird nie erfahren, ob dies ein Auslöser der Sexsucht war oder, wie im Buch geschrieben, „Sexmonster wurde – wie alle sterblichen Wesen- aus dem dunklen Nichts geboren. Seine Augen strahlten schon vor seiner Geburt eine unheilvolle Gier aus.“
Nach einem Bordellbesuchs, der nicht Safe war, bekommt Flo Angst sich mit Aids angesteckt zu haben. Das ist der Anlass für ihn, seine Sucht vor seiner Freundin zuzugeben und sich auch selbst einzugestehen, dass er damit nicht mehr allein zurechtkommt.
Immer wieder kommt der Dämon, das Monster, die Sucht, zurück und beeinflusst seinen kompletten Alltag. Auch während der Arbeit und im normalen Familienleben kommt es immer wieder zum Vorschein und steuert Flo und seine Handlungen. Die Sucht wird im Buch immer mit der Farbe Rot dargestellt, der Rest bleibt schwarz-weiß. Trotz, oder gerade wegen der reduzierten Texte und Farben erzielt diese Graphic Novel eine unglaubliche Stimmung: man ist hin- und hergerissen zwischen Unverständnis, Empathie, Hoffnung und Verzweiflung.
Ich war während des Lesens sehr ergriffen, was ich am Anfang nicht erwartet habe. Aber vielleicht wegen der fehlenden Erwartung hat mich diese Geschichte mit solch einer Wucht getroffen.
Florian Winter
Avant Verlag
360 S. - € 25,00
PS: Im Nachwort erfährt man noch, dass ab dem Jahr 2022 die Sexsucht als eigenständige Krankheit anerkannt wird.
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